Ein spätes Wiedersehen
Der Sand rieselte unaufhaltsam. Korn für Korn passierte die engste Stelle des Stundenglases und gesellte sich dem wachsenden Berg im unteren Teil der Sanduhr hinzu. Und irgendwann, nach einer kleinen Ewigkeit, waren nur noch wenige Körner übrig. Eine Hand nahm das Glas aus dem Regal. Es wurde Zeit.
Connor sah Duncan fest an. Er hatte es ja nicht anders gewollt, und doch flackerte nun für eine Sekunde Furcht in ihm auf. Hier sollte es also enden, auf dem trostlosen Dach eines New Yorker Hotels. Ein letzter Blick in die Augen seines alten Freundes, den er zu dieser Tat praktisch gezwungen hatte. Doch auch Duncan wusste, dass dies die einzige Chance war, Kell und die ihm loyalen Unsterblichen zu besiegen. Es musste getan werden.
Connor spürte, wie Duncan sein Schwert bewegte, die vor langer Zeit erlernte Technik anwandte und aus Connors vermeintlich festem Griff ausbrach. Instinktiv schloss der ältere der beiden Unsterblichen die Augen und dann spürte er es. Ein Hauch von Stahl fuhr an seinem Hals vorbei, und Connor MacLeod musste sich alle Mühe geben, seine in Jahrhunderten entwickelten Reflexe unter Kontrolle zu halten. Diesmal durfte er nicht ausweichen, sich nicht zu retten versuchen.
Eine Sekunde verging, dann noch eine. Ärger stieg in Connor hoch. Warum machte Duncan es ihm unnötig schwer?
"Bring es endlich zu Ende!" presste er unbeherrscht hervor. Doch in diesem Augenblick gewahrte er durch die geschlossenen Augenlider hindurch einen grellen Blitz, und dann noch einen. "Nein!" Connor schrie es und riss die Augen auf. Das durfte Duncan nicht! Er konnte sich doch nicht selbst enthauptet haben, um Connor die Entscheidung abzunehmen.
Connor MacLeod starrte auf eine bizarre Szene. Direkt vor seinen Füßen... Nein, wenn er es recht bedachte, eigentlich in seinen Füßen, bemerkte Connor mit gelindem Entsetzen. Nun, dort lag jedenfalls sein eigener, zusammengekrümmter Körper. Zwei Meter weiter sah Connor seinen Kopf, der nur noch durch eine Blutspur mit dem Körper verbunden war. Er konnte sich selbst in die gebrochenen Augen sehen...
Und neben ihm stand Duncan, wohl nur noch von den unbegreiflichen Energie-Fluten gehalten. Tränen liefen ihm die Wangen herunter, während er das Quickening seines ältesten Freundes empfing. Connor wollte Duncan trösten, wollte sagen, dass er noch am Leben war. Aber war er das denn?
ES SIEHT NICHT SO AUS, ODER?
Connor fuhr herum und hob sein Katana. Eine dunkle, kapuzenverhüllte Gestalt stand dort. Eine knöcherne Hand hielt eine große Sense und im Dunkel der Kapuze funkelten zwei bläuliche Sterne. Connor starrte den Fremden nur an. Er hatte oft überlegt, was nach dem Tod wohl auf die Menschen warten mochte, doch das einzige, was er dabei definitiv ausgeschlossen hatte, war ein Skelett mit einer Sense gewesen.
"Das glaube ich nicht!" flüsterte er leise.
GLAUB ES! meinte Tod ruhig. BIST DU BEREIT, INS JENSEITS ZU WECHSELN? Langsam hob er die Sense und trat einen Schritt auf Connor zu. Dieser hob abwehrend sein Schwert.
DIE MEISTEN MENSCHEN KLAMMERN SICH AN IHR LEBEN, meinte Tod leicht ungehalten. DOCH ES IST VÖLLIG NUTZLOS. DU HAST KEINE WAHL. DARF ICH JETZT BITTE MEINE ARBEIT TUN?
Connor ließ das Schwert sinken und sah wieder zu Duncan. Dieser war, nachdem der letzte Blitz verklungen war, in sich zusammengesunken und beweinte seinen toten Freund.
Tod trat an Connor vorbei und hob die Sense. Geschickt durchtrennte er ein dünnes, blau leuchtendes Band zwischen Connors Geist und seinem toten Körper, welches Connor erst jetzt bemerkte. Als die Schnur durchtrennt wurde, verblasste die Welt um sie herum zunehmend. Sie verschwand schließlich, und Connor fand sich plötzlich in einer weiten Landschaft wieder. Es war eine merkwürdig surreale Gegend, stellte er fest. Einerseits erinnerte ihn viel an die urwüchsige Wildnis von Schottland, andererseits befand er sich eindeutig in einer Wüste, von der Menge des Sandes her zu urteilen. Er konnte es nicht besser beschreiben.
Er sah sich um und bemerkte Tod, der immer noch neben ihm stand und gerade einem weißen Pferd einen Futtersack abnahm.
"Was passiert nun mit mir?" fragte Connor. "Ist dies das Leben nach dem Tod?"
Die verhüllte Gestalt drehte sich um und antwortete:
DU MUSST DIE WÜSTE DURCHQUEREN. AN IHREM ENDE WIRD SICH ENTSCHEIDEN, WIE DEIN LEBEN NACH DEM TOD AUSSIEHT. SELBST ICH KANN DIR NICHT MEHR SAGEN.
Connor sah wieder auf die Wüste hinaus. Nun denn... Ohne sich noch einmal umzudrehen machte er sich auf den Weg.
Tod sah ihm nach. Eigentlich mochte er die Unsterblichen nicht. Obwohl sie oft jahrhundertealt waren, klammerten sie sich mit einer Beharrlichkeit an ihr Leben, die Tods Geduld immer wieder auf die Probe stellte. Oh, wenn er da an Kurgan dachte, der sich schlicht geweigert hatte, mitzukommen...
Tod schüttelte leicht verbittert den Kopf. Die Leute wussten seine Arbeit einfach nicht zu schätzen. Das Pferd wieherte leise.
JA, BINKY, sagte Tod. DU HAST RECHT. UM IHN IST ES FAST SCHADE. Er sah Connor langsam eine Düne ersteigen.
VIELLEICHT SOLLTE ICH ETWAS UNTERSTÜTZUNG ARRANGIEREN, meinte Tod, dann wandte er sich von der kleiner werdenden Gestalt ab, stieg auf das Pferd und machte sich auf den Weg nach Pseudopolis, wo der Bürgermeister bald seinem Nachfolger würde Platz machen müssen.
Die blonde Frau stolperte durch die endlosen Mengen von Sand. Sie konnte nicht mehr, und sie wollte nicht mehr! Immer dieser Sand. Und die Visionen...
Ein nur hypothetisch vorhandener Beobachter hätte sie als Schönheit beschrieben. Groß, blond, in ihrem Gesicht kam Charakter zum Ausdruck. Doch jetzt schien sie mit ihren Kräften am Ende zu sein. Schon viel zu lange irrte sie durch diese Landschaft, und fast hatte sie vergessen, was sie hier tat. Wieder tauchte vor ihr eine Skulptur auf. War die eben schon dagewesen? Egal. Sie erkannte das Kunstwerk sofort. Sie hatte es für den Stadtpark von Seacouver angefertigt. Und wenn sie am Fuß des Kunstwerkes etwas Sand entfernen würde, dann könnte sie sicher wieder die unterarmlangen Buchstaben TN sehen. Tessa fragte sich, wer ihre eigenen Skulpturen zehnfach vergrößert in dieser Wüste vergraben hatte. Und warum sie ständig Duncans Stimme flüstern hörte.
"Duncan!" rief sie. Doch er antwortete ihr nicht, nur ein leises Lachen ertönte von fern. Tessa sank zu Boden, und plötzlich war sie sich nicht einmal mehr sicher, aus welcher Richtung sie gekommen war. Über ihr brannte am Himmel die Sonne, die Tessa schon seit Stunden (oder Tagen?) im Zenit stehen sah. Doch schließlich raffte sie sich wieder auf. Das Phantom hatte gesagt, sie solle die Wüste durchqueren, und ihr blieb kaum etwas anderes übrig, als dies zu tun. Gerade als sie um die Ecke eines riesigen, halb in den Boden gerammten Claymores bog, stieß sie mit jemandem zusammen.
Connor war erschöpft, doch er zwang sich, weiterzugehen. 'Du musst die Wüste durchqueren. An ihrem Ende wird sich entscheiden, wie dein Leben nach dem Tod aussehen wird.' Connor erinnerte sich genau an die Worte Tods. Würde er dort dann all die Menschen wiedersehen, die ihm etwas bedeutet hatten? Würde er dort Heather treffen, und Ramirez? Kastagir und Rachel?
Connor wagte es nicht, sich Hoffnungen zu machen. Er ging nur einfach geradeaus, wich einem gewaltigen Katana aus, das direkt vor ihm im Sand lag. Dann stieg er über einen Hügel, der ihn sehr an Kurgans Kopfbedeckung erinnerte, die er 1536 in der Schlacht gegen Connors Clan getragen hatte. Und dazwischen immer wieder Sand.
Er glaubte, hinter sich das Geräusch eines fast lautlos gezogenen Schwertes zu hören, doch als er herumwirbelte und sein Katana hob, war niemand zu sehen. Halluzinationen, das waren alles nur Einbildungen seiner überreizten Phantasie. Genau wie die flüsternde Stimme Kells, die er immer wieder zu hören glaubte...
Seit vielen Stunden ging das nun schon so, Düne folgte auf Düne, und der Horizont kam nicht näher. Langsam zweifelte Connor an seinem Verstand. War es richtig gewesen, was er getan hatte? Wie mochte es Duncan jetzt wohl gehen? Connor wurde den quälenden Gedanken nicht los, seinem Schüler hinter dem nächsten Hügel zu begegnen. Nein, sein Opfer durfte nicht umsonst gewesen sein!
'Weiter, du musst weitergehen!'
Connor bog gerade um ein riesiges Claymore, als er mit jemandem zusammenstieß. Er erkannte lange, blonde Haare, und instinktiv hielt er die Arme der jungen Frau fest. Sie sah ihn verschreckt an, und er starrte zurück. Das war doch...
"Connor?" brachte sie hervor. "Connor MacLeod?"
"Tessa!" Er erinnerte sich. Vor einigen Jahren hatte er Duncan in Seacouver besucht, als er auf der Jagd nach Slan Quince war. Sein jüngerer Clansbruder hatte ihm die Frau vorgestellt, mit der er seit langem zusammen war. Und Connor erinnerte sich auch, dass er später von Tessas Tod gehört hatte.
"Du bist keine Halluzination?" fragte Tessa vorsichtig, doch sie spürte ja seinen festen Griff an ihren Armen.
"Nein, ich denke nicht", antwortete Connor ihr und ließ sie schließlich los. Ein Weilchen musterten sie sich nur schweigend.
"Und bist du auch... gestorben?" Tessa sah ihn an, dann lachte sie nervös. "Oh, was für eine dumme Frage! Was würdest du sonst hier machen."
"Ich hatte gehofft, dass wir uns wiedersehen würden", meinte Connor, der sich an ihren Abschied damals erinnerte. "Aber..." Er unterbrach sich und sah auf die bizarre Landschaft um sie herum.
"Du dachtest nicht, dass unser Treffen so aussehen würde", vollendete Tessa den Satz. Connor nickte und wandte sich ihr wieder zu.
"Wie geht es Duncan?" fragte Tessa dann.
"Er lebt", antwortete Connor und fügte hinzu: "Im Gegenteil zu uns."
"Ich... ich erinnere mich nur noch verschwommen an den Überfall", sagte Tessa. "Und an das Phantom, das mich hierher brachte. Die Wüste hat mich fast durchdrehen lassen, und ich muss immerzu an Duncan denken."
Connor nickte wieder, es ging ihm ja nicht anders. Noch jetzt fragte er sich, ob er es spüren würde, falls Duncan auch hier ankommen sollte.
"Er tut mir leid", seufzte Tessa plötzlich.
"Wen meinst du?"
"Duncan", entgegnete sie. "Nun hat er uns beide innerhalb so kurzer Zeit verloren. Das muss hart für ihn sein." Connor starrte sie an, und ihm wurde bewusst, was ihn schon die ganze Zeit an der Situation störte.
"Bist du die ganze Zeit hier gewesen, seit ... deinem Tod?" fragte er Tessa.
"Ja. Inzwischen sind es bestimmt schon einige Tage", antwortete sie ihm. Connor konnte es nicht glauben. Einige Tage?
"Was?" fragte Tessa, die seinen Gesichtsausdruck bemerkt hatte. "Was ist?"
"Es sind fast zehn Jahre vergangen, draußen in der Welt", antwortete Connor ihr. Sie blickten sich an, und plötzlich war ihnen beiden, als würden sie alles ganz klar sehen.
"Zeit spielt hier offenbar keine Rolle", flüsterte Tessa.
'Und unser früheres Leben wohl auch nicht', ergänzte Connor in Gedanken. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, er bedauerte nichts von dem, was er getan hatte. Und nun war es wohl Zeit loszulassen. Langsam ließ er sein Katana, das er bisher mit sich herumgetragen hatte, in den Sand sinken.
Tessa schien es ähnlich zu gehen. Sie wirkte plötzlich ruhiger als zuvor. "Komisch", meinte sie. "Seit Tagen habe ich nur an Duncan gedacht und wie es ihm wohl gehen mag. Aber nun scheint mir das nicht mehr wichtig zu sein. Ich hoffe nur, er ist glücklich."
"Ja, das ist er", entgegnete Connor. Ein Weilchen starrten sie vor sich hin und schienen von ihrem Leben Abschied zu nehmen.
"Komm!" forderte Connor sie dann auf. "Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Zusammen wird es sicher leichter."
Sie folgte ihm, als er die nächste Düne erklomm. Vor ihnen lag eine weite, sandige Ebene, und sie sahen weder Schwerter noch Skulpturen. Nur in der Ferne die Linie des Horizonts.
"Was erwartet uns dort, jenseits der Wüste?" fragte Tessa beklommen.
"Ein neuer Anfang", meinte Connor leise.
DU MUSST MICH BEGLEITEN. ES GIBT REGELN, DENEN SELBST DU DICH BEUGEN MUSST!
"Nein, nie im Leben!"
ABER IM TOD, erwiderte Tod und durchtrennte Kells Lebensschnur.
(c) by Johannes Freudendahl https://ammaletu.de
Anmerkungen:
Die Story ist ein Crossover zwischen dem Highlander-Universum und Terry Pratchetts Scheibenwelt-Romanen.
Sie wurde im "Highlander Magazin" Nr. 1 (Dez 2001) veröffentlicht.
Die Idee zu dieser Story kam mir, als ich letztens mal wieder das Ende des Highlander-Pilotfilmes gesehen habe, wo Tessa fragt "Werden wir uns wiedersehen?" und Connor meint nur "Das hoffe ich doch." Und mir wurde dabei schlagartig klar, dass, nachdem Tessa nun Anfang der zweiten Staffel gestorben war, sich erst nach Connors Tod im Film "Highlander: Endgame" zu einem Treffen der beiden eine Gelegenheit ergab. Der Schritt zum Tod der Scheibenwelt war dann schnell getan, denn er ist immer noch mit Abstand die interessanteste Version des Jenseits, die ich kenne.
Und was die Wüste betrifft: Stellt sie euch einfach so vor wie die Landschaft in einem Computerspiel á la Worms. ;-)
Bekannte Unsterbliche in dieser Geschichte:
Connor MacLeod, Duncan MacLeod, Jacob Kell | Sunda Kastagir, Juan Sanchez Villa-Lobos Ramirez, Kurgan, Slan Quince
Geschrieben: 24. Dez 2000 / 15. Mar 2001 | Wörter: 1.925